Wir wissen nicht zu was wir aufgefordert werden
Es erwartet uns ein Ringtheater-Abend. Die Handlung ist einfach:
Eine Familie lebt glücklich zusammen und muss sich nie voneinander trennen.
DIE ERSTE SZENE: Drei nasse Hunde erscheinen auf einer Leinwand hinter der Bühne. Sie schauen majestätisch in einen Scheinwerfer.
Das Stück beginnt mit dem Ende, das Licht fällt auf eine abgespielte Bühne, in der jeder Gegenstand benutzt aussieht.
Es tritt eine Person auf. Sie will irgendwas, aber bekommt es nicht. Immer wieder fängt sie an, immer wieder bricht sie ab. Resultat: Lauter erste Sätze.
Sie sagt: Das Stück war extrem krass.
Sie sagt: Ich bin leider eine hoffnungsvolle Person.
Sie fragt: Wie verwahrlost ist meine Zukunft, wenn ich mich für diesen Ort entscheide?
Sie sagt: Der erste Abend hier war ein absolut unfassbares Erlebnis, eine Baustelle voller Möglichkeiten und so blieb es ein Jahr lang.
Die drei Hunde drehen sich zum Publikum und sprechen im Chor:
Aha Berlin, gibt es also noch. Aha, es gibt noch Zigarettengeruch, weil alle rauchen. Aha, Staub, der auf Scheinwerfern kokelt. Geruch von Kaffee, der im Bühnenraum verstreut ist, um den Geruch zu überdecken.
Die Person geht ab. Das Kind der Person tritt auf.
Erinnerungen sind keine Entscheidung.
Klagt das Kind.
Es erinnert sich an ein Theater von früher, zum Angucken und Reinbeißen. Es erinnert sich an ein Berlin, dass nach City Chicken roch.
Ich bin richtig sauer.
Sagt das Kind.
Dass das Ringtheater, dass die Zukunft vom Verkauf bedroht ist.
Es sagt: In zehn Jahren gibt es in Berlin noch ein besetztes Haus und es gibt ein Museum von einem besetzten Haus. Graffiti hinter Plexiglas. Aber noch sind wir da.
Sagt das Kind und schaut auffordernd in die Menge.
Wir wissen nicht zu was wir aufgefordert werden. Wie so oft.
Sollen wir in einem Pulk tanzen und Angels singen? Oder ein weiteres Plenum mit Cola ohne Zucker, Bier ohne Alkohol? Sollen wir das ganze Theater zusammenfalten, als wäre es ein Din A4 Papier? Es wieder aufklappen, wie ein dreidimensionales Bilderbuch? Sollen wir es schwimmen schicken?
Das Kind schüttelt enttäuscht den Kopf und sagt:
Wenn du den Geruch weghaben willst, musst du alles abreißen.
Das Kind geht ab. 1000 Liter Kunstblut rollen auf die Zuschauer*innen zu und brechen sich an einer Plexiglaswand.
Wir sehen uns an, sind berührt und werden noch lange daran zurückdenken.
Wir werden daran denken in einem Ring in drei Jahren, vielleicht etwas kommerzieller, mit Blumensträußen an der Kasse, und Sektpausen.
Wenn wir geblendet von einem Spot einen Stuhl platzieren. Wenn wir in alte Strukturen fallen, an unseren Idealen scheitern und uns da wieder rausarbeiten. Wir denken daran, auf einem Boot, am Rand der Stadt, auf einem Papier. Aber vor allem denken wir:
Wir sind noch da. Wir sind da. Wir erinnern uns in die Zukunft. Wir denken an unser Theater und fragen:
Was ist eine Utopie?
Wir leben zusammen und müssen uns nie trennen.
Ein Text von: Lars Werner, Dandan Liu, Mariann Yar, Simone Bäuchle, Tim Jakob, Thalia Hertel, Johannes Bellermann – für das Ringtheater-Kollektiv